Der Feind trägt eine Augenbinde und heißt Mosche. Dazu hat er einen Karl-Lagerfeld-Pferdeschwanz – Anbindung an die Gegenwart offensichtlich erwünscht. Eine Stunde und fünfzig Minuten Krieg lassen einen irgendwann hoffen, dass die Ballerei bald ein Ende haben möge. Zwischenzeitlich wirkt es lächerlich, wenn man nur noch schemenhaft erahnt wer gerade wen in die Luft sprengt oder niedermetzelt – es werden Bataillone israelischer Soldaten gemeuchelt, zumeist in schwerer Kampfuniform. Die das tun sind vier Rächer in Zivil. Denn es wurden und werden auch Palästinenser gemordet – als ganz besonderer Höhepunkt wird ein behinderter Junge unter einem Haus lebendig begraben. Die Israelis setzen unerlaubte Waffen ein – sie verstoßen gegen UN-Konventionen. „No War“ und „UN?“ gehören zu den Graffitis, deren Sinn sich auf Anhieb erschließt. Ebenso wie die Rolle der jüdischen Amerikanerin, die als unbedarfte Touristin in den Strudel der Gewalt gerät:
Szene 1: Ein türkisches Schiff will Hilfslieferungen an die bedürftigen Brüder und Schwestern in Gaza/Palästina bringen, auf die diese vorgeblich dringend warten. Sie werden von israelischen Soldaten brutal überfallen, die mit Maschinengewehren wahllos auch auf Frauen und Kinder schießen – am Ende der Szene bleibt ein hilfloser Mann mit Schlagstock im Gedächtnis, der gegen diese Übermacht nichts ausrichten konnte. Eine schlüssige Auftaktszene, die jeder Realität entbehrt.
Szene 2: Das türkische Rächerkommando ist unterwegs nach Palästina. Mission: Mosche töten. Der hatte den Befehl zum Kampfeinsatz gegen das Schiff gegeben. Am Grenzübergang werden sie aufgehalten, und mit ihnen eine verirrte Amerikanerin, die ihre Reisegruppe verloren hat.
Ein roter Faden: Sie wird eine wichtige Rolle spielen, diese Amerikanerin, denn: Juden sind nicht böse – nur "Tyrannen" sind böse. Und zudem wird sie eine Metamorphose durchmachen: von der tablettenabhängigen Hosenträgerin, einer einsamen Frau die ungewollt keine Familie hat weil ihr Freund sie verlassen hat und die deshalb zu Schmerzmitteln greift – „Wir haben auch Schmerzen“ sagt die weise Palästinenserin, die eine Horde Kinder um sich versammelt in der Küche steht und Essen bereitet, und „Tabletten helfen nicht“ – zur Schönheit im roten Kleid. Sie darf überleben, nachdem sie am Ende auch das Essen nicht mehr verweigert wie anfangs („Ich bin Vegetarierin“) und nachdem sie ebenfalls die Hölle israelischer Gefangenschaft und Folter durchgemacht hat – sie wird mit verbundenen Augen und Händen vorgeführt. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung mit Mosche, in der sie sich beide gegenseitig davon zu überzeugen suchen, wer der „wahre“ Jude sei, sagt sie zu ihm: „In der Bibel steht, du sollst keine Menschen töten“. Seine Antwort lautet: „In der Bibel steht du sollst keine Juden töten.“ Das ist ein wichtiger Schlüsselsatz, denn es spiegelt einen Vorwurf, dem sich islamische Staaten immer wieder ausgesetzt sehen: der Hierarchisierung des Wertes von Menschen aufgrund der Religion. So erfährt
Rassismus eine neue Legitimation.
Am Ende überlebt der palästinensische Anführer des vermeintlichen Rächerkommandos, dessen Sohn lebendig begraben wurde, in der Hand das Amulett, das sein Sohn ihm gab um sein Überleben zu sichern: der (Aber)Glaube hat gesiegt. Und die Amerikanerin? Sie war ihm kurz vor dem Ende des Films schon um den Hals gefallen, fast könnte man an eine Liebesgeschichte glauben. Sie wird ganz klar in die Welt zurückgeschickt, aus der sie immer wieder auszubrechen sucht: "Was machst du hier? Du gehörst ins Haus!"
Und das Ende ist natürlich der Sieg: Nachdem er das Arsenal der illegalen Waffen geraubt und dem eigenen Fundus einverleibt hatte kann er Mosche auch das andere Auge wegschießen – Mosche stirbt und das Publikum atmet laut erleichtert auf. Applaus aus den eher spärlich besetzten Reihen. Die Tortur hat ein Ende und ich verlasse etwas benommen von der ganzen Knallerei das Kino – allzu viele Untertitel brauchte es gar nicht, denn Worte wurden nur spärlich gewechselt.
Trotz aller Stereotype – oder vielleicht gerade deshalb, weil sie so geballt und ungewollt fast komisch absurd auftreten, wirkt der Film lächerlich. Wenn die Botschaft nicht offener Hass gegen eine Nation wäre – ganz nach dem Motto „früher haben wir Israel nicht anerkannt, aber jetzt tun wir das doch, es gibt keinen Grund mehr, dass sie uns das antun“ – man könnte den Film als harmlose Inszenierung wilder männlicher Kriegsphantasien mit zwischenzeitlich zugegebener weise recht brutalen Szenen abtun. Frauen spielen in dieser Welt keine Rolle. Aber ganz anders als bei Rambo, ein Vergleich, der ja bei Actionfilmen immer wieder gerne herangezogen wird, handelt es sich nicht um die Aufarbeitung der Vergangenheit, um die Wiedergewinnung des eigenen Respekts nach einer Niederlage, sondern es handelt sich um die Wunschprojektion des in die Zukunft gerichteten kompletten Auslöschen eines Staates durch die Vernichtung seiner Repräsentanten – einen guten israelischen Juden gibt es nicht. Die israelischen Soldaten, denen das Recht auf Leben aufgrund ihres Dienstes für Israel abgesprochen wird, sind am Ende ausnahmslos tot. Mosche muss dabei für das personifizierte Böse herhalten, zusammen mit Avi, der als „einzigen Ausweg“ für eine sichere Zukunft die Gründung eines „Großisraels“ – vom Euphrat bis zum Nil - proklamiert, den Gründungsmythos des Staates Israel mit der Judenverfolgung in Polen erklärt und von der Amerikanerin namens Levi diesbezüglich widerlegt wird. Kurz vor Ende des Films sterben noch die beiden engsten Gefolgsleute der Kontrahenten, indem sie sich gegenseitig erschießen. So wirkt der Sieg über Mosche, zu dem das Amulett beigetragen hat, am Ende noch einmal mehr wie ein Wunder während die Welt explodiert. Denn: „Für jedes gekrümmte Haar eines Unschuldigen würden wir die Welt opfern“.
Ein Glück, dass es keine Unschuldigen gibt. Einen kleinen Eindruck bietet der Trailer unter
http://www.kino-zeit.de/filme/trailer/tal-der-wolfe-palastina
Wer den gesehen hat weiß schon eine Menge über den Film – auch, dass er ihn nicht sehen muss um zu wissen, dass er sicher doch Dumme findet, die in ihrem Hass auf Israel bestärkt aus dem Kino gehen.
Nikoline Hansen
Montag, 31. Januar 2011
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