Sonntag, 12. Dezember 2010

Presse- und Meinungsfreiheit 2010

Hoffnung hält den Mensch am Leben – erst Recht in Situationen, die bedrohlich sind. In einer solchen Situation befinden sich zwei deutsche Journalisten seit dem 10. Oktober 2010 im Iran. Angela Merkel am 12.10. im Deutsche Welle TV: „Wir haben natürlich ein großes Interesse, dass die beiden Staatsbürger wieder frei werden und das Auswärtige Amt unternimmt auch alles was in unseren Möglichkeiten steht“.

Am 17. November schrieb die Bildzeitung: „Das Drama um zwei Deutsche im Iran spitzt sich zu! Walter Mayer, Chefredakteur BILD am SONNTAG: „Seit über einem Monat bangen wir um zwei Reporter, die im Iran inhaftiert sind. Wir tun alles in unserer Macht Stehende, um den Kollegen und ihren Angehörigen zu helfen. Zu ihrem Schutz werden wir uns zu weiteren Einzelheiten noch nicht äußern.“

Am 29. November ging der Exil-Iraner Dr. Kazem Moussavi mit einem offenen Brief an die Bundeskanzlerin in die Offensive, indem er die Namen der inhaftierten Journalisten erstmals öffentlich machte. Er schrieb u.a.:

„Die verhafteten deutschen Journalisten Marcus Hellwig (Redakteur) und Jens Koch (Fotograf) müssen vom islamistischen Regime im Iran sofort und bedingungslos freigelassen werden! Seit mehr als 7 Wochen sind zwei deutsche Journalisten, deren Namen bisher nicht genannt wurden, in Geiselhaft der Teheraner Machthaber und darüber sind die Öffentlichkeit und deren Familienangehörige sowie die Kollegen in Deutschland sehr besorgt.

Für die Freilassung der Journalisten haben die bisherige geheime Diplomatie der Bundesregierung sowie die Iran-Reisen von Abgeordneten des Bundestages unter Leitung von Peter Gauweiler/Claudia Roth sowie anschließend von Frau MdB Hoff (FDP) wie auch kürzlich des Gesandten von Herrn Außenminister Guido Westerwelle absolut nichts gebracht.

Der wichtigste Grund dafür ist: Laut zuverlässigen Informationen wird der Fall der beiden deutschen Journalisten direkt durch das Büro des Revolutionsführers Ali Khamenei koordiniert und in dessen Auftrag vom Hohen Nationalen Sicherheitsrat der Islamischen Republik unter der Leitung von Saeed Jalili, dem derzeitigen Atom-Chefunterhändler des Regimes im engen Kontakt mit Ali Reza Sheikh Attar, dem Botschafter des iranischen Regimes in Deutschland umgesetzt.

Der Plan, den Khamenei und die Regierung Ahmadinejads mit der Geiselhaft der deutschen Journalisten verfolgen, ist, auf Zeit zu setzen und die Gefangenen als Druckmittel zu nutzen, um weitere Sanktionen Deutschlands und Europas zu verhindern und dadurch atomare Ziele voranzutreiben und zu realisieren. Die Atombombe ist für das Überleben des Mullah-Regimes im Iran notwendig. Sie ist gleichzeitig ein Gewaltinstrument, das die Umsetzung der Expansionspolitik und der Vernichtungsabsichten des Systems gegen Israel sichert und beschleunigt. Die Intensivierung von Wirtschaftsbeziehungen und Dialogpolitik bereitet dem Regime die Möglichkeit, seine ideologischen Ziele eher zu bewerkstelligen.“

Der Erfolg war verhalten. Eine Antwort gibt es nicht. Die deutsche Politik arbeitet offenbar nach dem Prinzip Hoffnung. Sicher muss sie den Preis für die Freilassung der beiden deutschen Journalisten so gering wie möglich halten. Nach dem Prinzip Hoffnung kann man da nur sagen: Hoffentlich ist der Preis nicht unbezahlbar. Erschreckend ist vor allem die Tatsache, dass alle Diplomatie und Verhandlungen bislang nur zu einer größeren Erpressbarkeit und dem Verlust der Glaubwürdigkeit führen. Den Menschen – weder unseren deutschen Journalisten noch den Iranern, die unter dem Terrorregime der islamischen Regierung leiden, ist damit geholfen.

Am 08. Dezember 2010 um 15.40 Uhr meldet die Berliner BZ: „Kommen die beiden deutschen Journalisten im Iran möglicherweise vor Weihnachten frei? Der Sprecher des Außenministeriums in Teheran stellte eine baldige Rückkehr nach Deutschland in Aussicht.“ Eine kurze Meldung. Denn: Weihnachten erhöht den Druck und den Preis, den wir für die Freilassung zu zahlen haben. Das wissen auch die Journalisten, die diese Meldung klein halten. So bleibt sie sinnentleert und wunschlos. An Gedenktagen werden die Namen toter Opfer verlesen – Lebende bleiben offenbar mal wieder verdächtig und namenlos.

Wieso erscheint sie überhaupt? Wer bei den Reportern ohne Grenzen nach den beiden deutschen Journalisten fahndet wird nicht fündig – obwohl man am 16.11. nach dem Spionagevorwurf eine Presseerklärung herausgab, in der dieser Vorwurf auf das Schärfste verurteilt wurde – vielleicht zeigte das Erfolg, denn der Spionagevorwurf wurde inzwischen fallen gelassen. Allerdings: unter den aufgeführten weltweit 149 inhaftierten Journalisten (Stand 12.12.2010) tauchen die beiden Deutschen nicht auf. Im Iran sind 26 Journalisten inhaftiert – die größte Anzahl in einem Land überhaupt. In einer Presseerklärung vom 9. Dezember kritisiert Reporter ohne Grenzen „erneute Repressionen gegen Journalisten und Internetnutzer im Iran: Während der Atomverhandlungen der Regierung mit westlichen Ländern sind vier Journalisten der reformorientierten Zeitung Schargh verhaftet worden. Bei den am 7. Dezember festgenommenen Medienmitarbeitern handelt es sich um den Direktor des Blattes Ali Chodabaksch, den Chefredakteur Ahmed Gholami, die Leiterin des Ressorts „Internationales“, Farsaneh Rustaei, sowie den Leiter des Politik-Ressorts Keywan Mehregan.“ Die Namen der deutschen Journalisten? Fehlanzeige. Zeitgleich zeichnete Reporter ohne Grenzen den iranischen Journalisten Abdolresa Tadschik, der seit dem 10. Juni 2010 erneut im Gefängnis sitzt, am 9. Dezember in Paris als „Journalist des Jahres“ aus.

Iran – das Land, das den Frieden sucht? Deutschland – das Land, das gerade entsprechend vorgeführt wird? Warum können wir nicht mit gutem Beispiel und einer unaufgeregten regelmäßige Berichterstattung vorangehen? Es ist wichtig, Menschen beim Namen zu nennen, an sie zu erinnern und sich auf diese Art und Weise persönlich für sie einzusetzen. Reporter ohne Grenzen tut das auf internationaler Ebene – im Fall der beiden deutschen Journalisten aber nicht. Das ist unverständlich und aus meiner Sicht unverantwortlich, denn Totschweigen hat noch nie geholfen. Es kann höchstens den Preis erhöhen, den wir zu zahlen haben. Aber vielleicht tun wir das ja freiwillig und gerne. Schließlich ist Verhandeln politisch korrekt. Nur sind unsere Möglichkeiten offensichtlich sehr begrenzt.

Der Kampf um die Presse- und Meinungsfreiheit war dieses Jahr das eigentliche Thema bei der Vergabe des Friedensnobelpreises. Auch deshalb weigerten sich 15 Länder, an der Preisverleihung teilzunehmen, darunter neben China Russland, Afghanistan, und Irak auch der Iran. Der Stuhl des Preisträgers blieb leer – zum ersten Mal seit der Verleihung des Preises an Carl von Ossietzky 1936. Die zentrale Botschaft des Preisträgers, des chinesischen Schriftstellers Liu Xiaobo wurde trotzdem verbreitet: „Meinungsfreiheit ist die Grundlage der Menschenrechte, die Quelle der Humanität und die Mutter der Wahrheit. Freiheit zu strangulieren bedeutet, die Menschenrechte mit Füßen zu treten, Menschlichkeit zu ersticken und die Wahrheit zu unterdrücken.“

In diesem Sinne ist es unsere Pflicht, auch unseren beiden deutschen Journalisten öffentliche Solidarität und Beistand zu erweisen. Es scheint allerdings, dass der Preis für die Freilassung umso höher wird je mehr wir heimlich verhandeln – eine absurde Situation. Menschen als Geiselpfand zu benutzen ist jenseits jeglicher legitimer Diplomatie. Gerade deshalb dürfen wir nicht Schweigen!

Samstag, 16. Oktober 2010

Deutscher Grusel Oktober 2010

Das Denkmal für die Bücherverbrennung auf dem Bebelplatz in Berlin. Eine Touristengruppe steht mit gesenkten Häuptern darum herum, blickt unter die Erde und lauscht der Fremdenführerin, die Heinrich Heine zitiert. Als sie damit fertig ist macht sie eine kurze dramaturgische Pause und sagt dann in einem leicht triumphierenden Tonfall: „Das hat einen Gänsehautfaktor, nicht wahr?“